10 Impulse von Garry Kasparov für dein TrainerSein
Heute in unserem Blick über den Tellerrand: Garry Kasparov. Der russische Schachweltmeister wuchs in der Aserbaidschanischen SSR auf. Von 1985 bis 1993 war er offizieller Weltmeister des Weltschachbundes FIDE. Legendär waren die Spiele des Großmeisters gegen Anatoly Karpov, die ihn u.a. zum jüngsten Weltmeister aller Zeiten machten. 2005 beendete er seine Karriere und engagiert sich seitdem politisch. Was du aus seiner Karriere lernen kannst, erfährst du in diesem Blogartikel.
„Play on a real board as often as possible”
Schach findet häufig am Bildschirm statt. Großmeister spielen viele Spiele parallel und klicken sich von Sieg zu Sieg. Kasparov mahnt aber zur Realität: „In der Analyse mancher Spiele ist mir aufgefallen, dass es ein Unterschied macht, ob ich am Bildschirm spiele oder das Brett direkt vor mir habe. Allein der Winkel in dem ich das Brett sehe, kann einen Unterschied machen, ob ich alle Muster und Lösungen abrufen kann oder nicht.“
Learning für den Fußball: Training muss dem Spiel so gut es geht entsprechen. Wenn ein Schachgroßmeister ein Problem mit dem Winkel auf das Brett bekommt, wie sollen Spieler am Wochenende besser spielen, wenn sie unter der Woche nur von A nach B passen… (Mehr dazu in DIESEM älteren Blogartikel)
„What is the most lethal threat?”
Beim Schach müssen immer neue Entscheidungen getroffen werden. Jeder Zug führt zu einer neuen Situation, die neue Lösungen bietet. Bei der Fülle an möglichen Zügen verliert es sich schnell in kleineren Taktiken und Ideen. Kasparov gibt den Tipp, das Brett erstmal nach der „größten Bedrohung“ abzusuchen und diese zu eliminieren. Diese Möglichkeit gibt dem Spieler eine klare Strategie, an der er sich orientieren kann.
Learning für den Fußball: Versteht sich wohl von selbst! 😉
„No matter you or your opponent is doing at the end of the day the game ends with the king” – Garry Kasparov
“Escape the threat and create a bigger threat”
Auch beim Schach muss clever angegriffen und verteidigt werden. Kasparov war bekannt für seine großartigen Verteidigungen. Dabei hatte er aber immer einen anderen Gedanken im Hinterkopf: „Es reicht nicht aus, gut zu verteidigen. Über die Eliminierung der größten Gefahr hinaus habe ich stets versucht, anzugreifen und eine größere Gefahr darzustellen.“
Learning für den Fußball: Häufig analysieren wir einen Gegner und überlegen uns nur, wie wir in der Lage sein können, diesen oder jenen Spieler „aus dem Spiel zu nehmen“. Dahinter steckt aber vielleicht ein riesiges Potenzial, nämlich über diese größte Stärke auch anzugreifen. Eigentlich hat ein Gegner großes Selbstvertrauen, wenn er seine starken Prinzipien und Waffen ausspielen kann. Wird nun genau darüber angegriffen, schadet dies dem Selbstvertrauen.
„Be comfortable with as much patterns as possible”
Eigentlich selbsterklärend: Je mehr Lösungen und Muster der Spieler im Kopf und auch aktiv gespielt hat, desto mehr hat er parat, wenn es darauf ankommt. Kasparov lernte dabei nicht nur von seinen eigenen Spielen, sondern studierte seinen Gegner, legendäre Spiele und die besten Lösungen aus Computerberechnungen.
Learning für den Fußball: Wir Trainerinnen und Trainer müssen immer ein ‚Student of the Game‘ bleiben und auf der Suche nach neuen Lösungen sein. Nur wenn wir immer wieder neue Lösungen kreieren oder finden, können wir unseren Spielerinnen und Spielern damit auch besser helfen!
„Start with the Endgame“
In seinem Buch „How Life imitates Chess“ beschreibt Kasparov zahlreiche Endspielszenarien (Konstellationen mit wenigen Figuren, die im ersten Moment übersichtlich wirken und kurz vor dem Ende des Spiels auftreten). Er beschreibt dabei, dass sich viele Spiele auf diese Szenarien zuspitzen und „derjenige, der darin einfach besser ist, mehr Spiele gewinnen wird.“
Learning für den Fußball: Auch wir haben solche Endgames. Es wird häufig vorkommen, dass wir noch 10 Minuten auf der Uhr haben und das Ergebnis knapp ist. Aber wissen wir immer, was wir genau zu tun haben? Studieren wir diese „Endgames“? Wissen wir, welcher Wechsel unserer Mannschaft helfen kann? Fokussiere dich in der Analyse deiner Mannschaft und deinem eigenen Handeln gezielt auf diese Situationen!
„Analyze your game relentlessly honest”
Es gibt nur einen Weg, wirklich besser zu werden: sich selbst analysieren. Häufig lügen wir uns dabei in die Tasche: „Das war ja eigentlich kein Fehler, das passt schon“. Eines der Geheimnisse Kasparovs Erfolgs war die „brutal ehrliche“ Analyse seiner Spiele
(Interessant dabei: Seine erste Analyse einer Partie erfolgte direkt im Anschluss an das Spiel, „weil die Erinnerung frisch ist“, er wartete dann allerdings ein paar Tage und kehrte zur Analyse zurück).
Nur diese Art der Analyse führt dazu, die „Natur seiner eigenen Fehler“ zu finden und zu ergründen. Besonders gefährlich erachtet er dabei Siege. Die Analysen sind dann häufig weniger ehrlich: das gute Gefühl des Sieges macht uns arrogant und lässt uns unsere Fehler nicht eingestehen.
Learning für den Fußball: Sind wir in der Analyse der Mannschaft und uns selbst immer brutal ehrlich? Sind wir wirklich hinterher, alles zu ergründen und aufzudecken oder verstecken wir uns hinter dem guten Gefühl eines Sieges? Wie häufig sehen wir weg, nur weil es sich nicht gut anfühlt, genau hinzuschauen?
„If you don’t find your own mistakes your opponent will” – Garry Kasparov
“My great predecessors”
Eine große Inspiration für Kasparov waren die großen Spieler der Vergangenheit (er widmete ihnen eine ganze Buchreihe). Er weiß dabei ganz genau, dass er „nur wegen den großen Spielern der Vergangenheit so gut werden konnte“. Das Studium zahlreicher „Classic Games“ brachte ihm die interessante Erkenntnis: Die besten Entscheidungen und Momente entstehen in den Momenten des höchsten Drucks, wenn „alle Sinne geschärft sind und alles auf dem Spiel steht.“
Dieses Niveau konnte niemand in sachlichen Analysen im Nachhinein erreichen. Verantwortlich dafür war das unendliche Studium des Spiels, das unterbewusst diese Momente ermöglicht.
Learning für den Fußball: Nichts geht darüber, sich immer wieder Spiele auf höchstem Niveau anzuschauen und zu analysieren. Daraus Schlüsse zu ziehen, hilft auf jedem Niveau. Und: Sind wir immer demütig der Vergangenheit oder vergangenen Trainern gegenüber?
„My biggest accomplishment was not to lose that game”
In 1984 spielte der junge Kasparov sein erstes WM-Finale gegen den amtierenden Weltmeister Karpov. Für ihn seine bedeutendste Partie, die er nicht gewann. Bis ins Finale konnte niemand etwas gegen Kasparov ausrichten, er sah aus wieder der neue Stern am Schachhimmel. Dann kam das Finale und bereits nach neun Partien lag er 4:0 hinten (Weltmeister wird derjenige Spieler, der zuerst sechs Partien gewinnt). „Es ging nur noch darum, im Spiel zu bleiben“, sagt er im Nachhinein. „Vielleicht der bedeutendste Moment meiner Karriere: Mit einer 6:0 Niederlage wäre ich in die Geschichte eingegangen als der erste, der ein Finale zu Null verliert.
Das wäre für mich wohl das Ende gewesen, bevor meine Karriere wirklich losging.“ Und er überlebte weitere 17 Spiele mit 17 Unentschieden. In Spiel 27 war es dann so weit: Karpov geht 5:0 in Führung. „Es war der ultimative Test meines Charakters, war ich in der Situation in der Lage, zu überleben oder nicht?“. Es folgten 21 weitere Unentschieden und der Abbruch der Partie durch den Verband, weil das Finale schon fünf Monate dauerte. Wenige Monate später wurde die Partie wieder angesetzt und Kasparov wurde der jüngste Weltmeister in der Geschichte.
Learnings für den Fußball: Sehen wir die größten Drucksituationen als Herausforderung? Auch die großen Momente des Fußballs fußen auf den größten Schwierigkeiten. Vor dem Champions-League Triumph der Bayern 2013 verloren sie auf brutale Art und Weise das Finale Dahoum. Liverpool gewann Jahre zuvor die Championsleauge nach einem 0:3 Pausenrückstand. Oder wie es Gregg Popovich sagt: „Difficult situations are a measure of who we are as a person”.
“Always compete against your own excellence”
Bei allen Analysen von vergangenen Spielen und potenziellen Gegnern: am meisten hat Kasparov von sich selbst gelernt. Dabei sieht er Schach unabhängig von Sieg oder Niederlage als unendlichen Prozess, der ihm die Möglichkeit gibt, kreativ zu werden. Er ging im Spiel auf, mit der Perspektive immer besser werden zu können oder wie er es formuliert: „Wenn du gegen deine eigene Qualität antrittst, gehen dir niemals die Gegner aus.“
Learnings für den Fußball: Natürlich wollen wir alle Spiele gewinnen und das muss auch so sein. Trotzdem sollten wir als Trainerinnen und Trainer den Fokus auf den Prozess, Prinzipien und Werte legen, also auf Dinge, die unendlich besser werden können. Dann gehen auch uns niemals Dinge aus, an denen wir arbeiten können.
“Go when there is nothing left to prove”
2005 beendete Kasparov seine Karriere als #1 der Welt. Ihn überkam das Gefühl, dass es „das Ende seiner Reise“ war. Und auch, wenn er immer noch der beste der Welt war, war es an der Zeit „eine neue Reise zu starten, ohne die Liebe zum Spiel zu verlieren“
Learning für den Fußball: Das überlassen wir dir…
Empfehlungen zum Artikel:
- How Life imitates Chess – Garry Kasparov
- Deep Thinking: Where Machine Intelligence Ends and Human Creativity Begins – Garry Kasparov
- Und: Masterclass von Garry Kasparov auf https://www.masterclass.com/classes/garry-kasparov-teaches-chess
*Beitrag-Coverbild – I KOJOKU / Shutterstock.com
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1 Kommentar
Danke an das Coach2-Team für den sehr interessanten und informativen Beitrag!
Anhand des Artikels merkt man halt auch wieder, dass man über den Tellerrand hinaus schauen und sich selbst immer wieder neue Impulse setzen sollte.
Die Vergleiche bzw. der Transfer zum Fußball ist absolut gelungen und man findet sich selbst in dem geschriebenen wieder!