„Die Spiele in der Champions League waren absolute Highlights“ – Interview mit André Schubert
Heute im Trainerinterview: André Schubert. André Schubert trainierte unter anderem den SC Paderborn, FC St. Pauli, Eintracht Braunschweig und Borussia Mönchengladbach. Mit Borussia Mönchengladbach nahm er zweimal an der Champions League teil und spielte gegen namenhafte Gegner wie Manchester City, FC Barcelona oder Juventus Turin. Mit uns spricht er über besondere Champions League -Momente, Spielertypen und zunehmende Belastungen im Profibereich.
Coach2: In diesem Jahr hat bereits zum dritten Mal in Folge ein deutscher Trainer die Champions League gewonnen. Auch sie haben mit Borussia Mönchengladbach zwei Mal an der Champions League teilgenommen und unter anderem gegen Manchester City, FC Barcelona und Juventus Turin gespielt. Wie sind Sie an diese Spiele herangegangen, wie haben Sie sich vorbereitet und welches dieser Spiele ist Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Andre Schubert: Als ich die Profis kurzfristig übernehmen sollte, hatten wir wenig Zeit zur Vorbereitung. Ich habe die Profimannschaft an einem Montag übernommen, das erste Spiel war am folgenden Mittwoch. Danach spielten wir in der Folgezeit alle drei Tage, das war nicht unkompliziert in Kombination mit einem Trainerwechsel zu diesem Zeitpunkt. Einerseits kannten wir die Champions League noch nicht aus eigener Erfahrung, andererseits haben wir nach dem Trainerwechsel auch ein paar taktische Dinge umgestellt. Wir haben z.B. sehr viel höher attackiert, bereits am gegnerischen Strafraum gepresst, bei Ballgewinn blitzschnell umgeschaltet und mit viel Tempo zum Tor gezogen. Diese taktischen Umstellungen mussten trotz Dreifachbelastung trainiert werden. Der Prozess hat aber wahnsinnig viel Spaß gemacht. Die Mannschaft war unheimlich aufnahmefähig und sehr konzentriert.
Die Spiele in der Champions League waren dann absolute Highlights. Wir hatten zwei Jahre lang starke und interessante Gruppen. Im ersten Jahr spielten wir gegen Manchester City, Juventus Turin und den FC Sevilla. Juventus kam in der Saison bis ins Endspiel und Sevilla gewann die Euro League. Im ersten Heimspiel gegen Manchester City waren wir trotz der 1:2 Niederlage auf absolutem Topniveau. In der Anfangsphase haben wir sogar noch einen Elfmeter verschossen.
Insgesamt waren es sehr unterschiedliche Spiele. Das zweite Spiel war eine Abwehrschlacht in Turin. Im Heimspiel gegen Turin hat Juve kurz nach der Halbzeit eine rote Karte kassiert. Wir waren dran, aber die Chiellinis, Bonuccis und Buffons dieser Welt haben an diesem Tag einen unglaublichen Job gemacht. Wir sind dann nicht mehr durchgekommen und mussten uns mit einem 1:1 zufriedengeben. Auch das Heimspiel gegen Sevilla war ein richtiges Highlight. Wir haben 4:2 gewonnen und wirklichen guten Fußball gespielt. Ebenfalls ein absolutes Topspiel war das Spiel in Manchester. Wir haben zwar 4:2 verloren, aber zur Halbzeit 2:1 geführt und hatten 60% Ballbesitz. Auf dieses Spiel werde ich bis heute noch öfter angesprochen. Es war wahrscheinlich eines der besten Spiele, die wir in dieser Phase gemacht haben. In der 70. Minute gingen uns dann leider die Körner aus. Das 2:2 war nur zu wenig zum Weiterkommen und wir konnten in den letzten 10 Minuten nicht mehr standhalten.
„Ich erinnere mich an eine Szene im Heimspiel gegen Barca, als sich Ter Stegen den Ball zum Abstoß hinlegte. 10 Meter hinter der Mittellinie stand ganz rechts außen Suarez, ganz links Neymar und in der Mitte Paco Alcacer. Wenn der Ball kommt, haben wir immer noch 2-3 Sekunden, um hinter den Ball zu kommen, Überzahl herzustellen und zu sichern. Trotzdem musst du erstmal den Mut haben, auf einer Breite von 60m ein 3 gegen 3 gegen diese Top-Spieler zu verteidigen. Dazu musst du sehr wachsam, topfit und taktisch klug sein und zudem gute Nerven haben “ – Andre Schubert
Coach2: In der zweiten Saison gab es dann wieder attraktive Gegner in der Champions League. Wie haben Sie die zweite Saison generell erlebt?
Andre Schubert: Im zweiten Jahr wurde es durch die Vielzahl der Belastungen immer schwerer. Wir waren als Verein eigentlich noch nicht auf eine Dreifachbelastung ausgerichtet, weder in der Breite noch in der Altersstruktur der Mannschaft. Andreas Christensen kam mit 19 Jahren von Chelsea mit einem Profispiel. Nico Elvedi hat am Anfang noch in der U23 gespielt und gegen Bayern dann direkt sein erstes Spiel von Beginn an absolviert. Mo Dahoud war zwar schon ein Jahr da, aber hatte bis dahin nur 5 Einsätze und 120 Minuten Bundesligafußball. Es waren einige junge Spieler, die es nicht gewohnt waren, auf diesem Niveau zu spielen.
Die Aufholjagd im ersten Jahr, die Bundesliga und der DFB-Pokal haben uns viel Kraft gekostet und anschließend – das darf man auch nicht vergessen – kamen noch die Europameisterschaft oder andere Reisen für etliche National-Spieler hinzu. Zudem mussten wir dann auch noch früher anfangen, weil wir zu Beginn in der Champions League-Qualifikation gegen Bern gespielt haben, fast drei Wochen vor Bundesligastart. Mit Granit Xhaka haben wir in diesem Sommer dann auch noch eine Persönlichkeit an Arsenal abgegeben, die wir 1:1 so nicht kompensieren konnten.
„Ich denke, Frustrationstoleranz ist ein wichtiger Begriff. Man muss sich auf die Dinge konzentrieren, die man beeinflussen kann und hinnehmen, was nicht in deiner Hand liegt.“ – Andre Schubert
Coach2: Granit Xhaka war also ein wichtiger Charakter für die Mannschaft. Was hat ihn ausgezeichnet?
Andre Schubert: Jeder Mensch ist ein anderer Typ. Granit zeichnet aus, dass er unfassbar selbstbewusst ist, dabei aber auch sehr selbstkritisch. Außerdem ist er unglaublich positiv. Er hat sich mit Niederlagen und Rückschlägen nicht lange auseinandergesetzt, sondern hat sich das nächste Ziel gesucht und überlegt, wie er es wieder besser machen kann. Rückschläge hat er schnell weggepackt und so hat er auch auf dem Platz agiert. Des Weiteren ist er ein sehr emotionaler Mensch. Er hatte eine gute Ansprache an die Mannschaft und er ist eben auch mit Topleistungen auf dem Platz vorangegangen. Als Typ ist er besonders und so nicht zu ersetzen. Verlierst du einen solchen Spieler, musst du andere Lösungen finden. Es entwickeln sich dann immer wieder neue Führungsspieler. An dieser Stelle können wir beispielsweise Lars Stindl nennen. Lars kam damals von Hannover 96 zu Gladbach. Er war bereits in Hannover Spielführer und musste dann in Gladbach erstmal seine Rolle finden. Er hat am Anfang eher im Mittelfeld offensiv gespielt, dann auch mal rechts. Ich habe ihn dann in die Spitze gestellt bzw. auf die 10. Da hat er sich auch am wohlsten gefühlt und ich denke, das spielt er auch bis heute am liebsten.
Ein guter Spieler war er schon damals, aber wenn man sieht, wie er sich auf und neben dem Platz als Persönlichkeit entwickelt hat, wie er eine Mannschaft führt und einen Verein wie Borussia Mönchengladbach repräsentiert, dann ist das schon außergewöhnlich. Das war aber nicht von Anfang an so. Es hat etwas Zeit gebraucht und dann hat es sich in die Richtung entwickelt. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit. Lars Stindl ist ein Führungsspieler – aber anders als Granit Xhaka. Nicht besser oder schlechter, einfach anders. Ich hätte ihn sehr gerne in der Nationalmannschaft gesehen.
Coach2: Kommen wir zu einem anderen Spielertyp. Sie haben im Camp Nou gegen Lionel Messi gespielt. Wie haben Sie sich auf den FC Barcelona und insbesondere auf Lionel Messi vorbereitet?
Andre Schubert: Das war schwierig, weil das Spiel kurz vor der Winterpause nach intensiven Monaten stattfand. Wir hatten, wie bereits erwähnt, die Aufholjagd der vergangenen Saison, die Champions League-Qualifikation und die Europameisterschaft bzw. Länderspielreisen in den Knochen. Das schlug sich leider in Verletzungen nieder. Leider waren wir nicht gut genug dazu aufgestellt, die angesprochene Belastung kompensieren zu können. Im Heimspiel hatten wir es gut gemacht, aber im Rückspiel in Barcelona waren wir läuferisch und auch vom Kopf her nicht in der Lage, den Gegner hoch zu pressen. Barca war klar besser und wir chancenlos, weil wir kaum eigenen Ballbesitz generieren konnten.
Andre Schubert trainierte ihn bei Gladbach: Granit Xhaka – Christian Bertrand / Shutterstock.com
Coach2: Julian Nagelsmann hat mal gesagt: „Wir spielen alle drei Tage. Es gibt kein Training. Demnach gibt es auch kein Training unter Berücksichtigung von Intensität oder keiner Intensität, sondern die Spieler trainieren einfach nicht und regenerieren immer“. Wie haben Sie das Problem mit der zunehmenden Belastung wahrgenommen?
Andre Schubert: Viele unterschätzen diese Belastung. Permanent am Limit zu spielen, das ständige Reisen, Bus-Flieger-Bus-Hotel-Bus-Flieger usw., viele Aufenthalte im Hotel getrennt von der Familie, das ist schon anstrengend. Die physische Belastung ist dabei nicht mal das schwierigste, auch die psychische Belastung ist enorm. Das ist dann auch der Unterschied zwischen Gladbach und Mannschaften wie dem FC Bayern, Barcelona oder Manchester City. Das sind Mannschaften, die die Spiele in der Liga auch mal mit 80% gewinnen. Wenn sie nach 60 Minuten 2:0 führen, dann spielen sie das routiniert zu Ende. Diese Situation hatten wir nie. Wir mussten immer 100% geben und alle 3 Tage am Limit spielen. Dann passiert es halt, dass du irgendwann mal eine schwächere Phase hast, aber trotzdem hat uns das alles sehr viel Spaß gemacht.
Die Jungs spielten lieber alle 3 Tage als zwischendurch intensiv zu trainieren. Dementsprechend kann ich die Aussage von Julian Nagelsmann auch weitesgehend bestätigen. Wir haben uns auch mit Fachleuten und anderen Vereinen wegen der Belastungssteuerung ausgetauscht, haben uns z.B. auch Barca genau angeschaut . Dort war es so, dass ein Regenerationstraining – wie wir es aus dem Bundesligaalltag kennen – gar nicht stattfindet. Die bleiben teilweise zuhause, haben individuelle Maßnahmen, haben dort ihren Physiotherapeuten oder eine eigene Betreuung. So waren wir natürlich nicht aufgestellt. Aber auch wir haben Maßnahmen individuell auf die Spieler zugeschnitten und in der Vorbereitung auf die Spiele haben wir beispielsweise öfter ein 11:11 gestellt, um den Gegner zu simulieren, um freie Räume zu erkennen bzw. gefährliche Bereiche zu verdichten. Das waren rein taktische Einheiten mit geringster Belastung.
„Lars Stindl ist ein Führungsspieler, aber anders als Granit Xhaka. Nicht besser oder schlechter, einfach anders. Ich hätte ihn sehr gerne in der Nationalmannschaft gesehen.“ – Andre Schubert
Coach2: Wie kann das Problem ihrer Meinung nach gelöst werden. Müssen die Kader zwangsläufig größer werden oder gibt es andere Lösungsmöglichkeiten?
Andre Schubert: Ich denke, größere Kader sind für Mannschaften, die absehbar Jahr für Jahr mit dieser Belastung zu kämpfen haben, eine Möglichkeit. Wir können das Finanzielle aber nicht außeracht lassen und uns muss bewusst sein, dass keine Mannschaft zwei Lewandowskis haben kann. Dann hast du halt einen Lewandowski und einen Spieler, der ihn ansatzweise ersetzen kann. Ich finde den Lösungs-Ansatz von Markus Krösche bei RB Leipzig (jetzt Eintracht Frankfurt) sehr gut. Er stellt seinem Trainer immer wieder Spieler zur Verfügung, die nicht nur qualitativ gut, sondern auch auf verschiedenen Positionen einsetzbar sind. Er hat z.B. Innenverteidiger, die auch auf der 6 spielen können, Außenverteidiger, die auch auf der 7 oder der 11 spielen und offensive Spieler, die zentral, wie auch links und rechts spielen können. Wir müssen bei einem großen Kader berücksichtigen, dass Topspieler auch immer spielen wollen.
Schließlich benötigst du bei diesen Belastungen auch Spieler mit einer gewissen Robustheit und Belastungsverträglichkeit.
Coach2: Variabilität und Robustheit sind dementsprechend wichtige Talentkriterien. Wenn Sie im Jugendbereich tätig wären, welche weiteren Kriterien müssten ihrer Meinung nach gefördert werden?
Andre Schubert: Das ist in wenigen Sätzen nicht zu beantworten, Talentkriterien sind vielfältig und bedingen sich gegenseitig. Aber ganz allgemein denke ich, wir orientieren uns in Deutschland zu sehr an den Defiziten der Spieler. Wir verpflichten Spieler, weil sie etwas besonders gut können und wenn sie dann da sind, geraten mehr und mehr die Schwächen in den Vordergrund. Wir verlieren dann die eigentlichen Talente der Spieler aus den Augen, ihre ganz individuellen Stärken.
Die Spieler brauchen ein gutes Selbstbewusstsein, damit sie auch nach Rückschlägen wieder nach vorne schauen und das nächste Spiel möglichst schnell als eine neue Chance betrachten können. Spieler, die letztendlich Profi geworden sind, waren zumeist Spieler, die eine gewisse Selbstreflexion hatten, Hinweise angenommen und auch mal nachgefragt haben. Talent bedeutet auch, Widerstände und Hindernisse zu überwinden. Frustrationstoleranz ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Begriff. Man muss sich auf die Dinge konzentrieren, die man beeinflussen kann und hinnehmen, was nicht in der eigenen Hand liegt.
Coach2: Frustrationstoleranz ist auch ein Thema für uns Trainer. Wie schafft man es als Trainer gute Entscheidungen zu treffen, wenn mehrere tausend Zuschauer für oder gegen einen sind?
Andre Schubert: Nicht nur für Spieler gilt, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man beeinflussen kann und hinzunehmen, was nicht zu ändern ist. Rahmenbedingungen sind kaum zu beeinflussen. Zuschaueremotionen können wir aber durch Leidenschaft und unsere Leistungen positiv für uns beeinflussen. Als Trainer musst du aber deine Entscheidungen treffen, von denen du überzeugt bist und die zum Erfolg führen, unabhängig von äußerlichen Einflüssen.
Dazu gehören auch eine gewisse Gelassenheit und Geduld, das sind auch für mich ganz wichtige Themen, mit denen ich mich intensiv beschäftige.
Coach2: Zu guter Letzt: Sie haben selbst einmal gesagt, „Grundsätzlich mache ich meinen Job immer bestmöglich. Egal ob Bundesliga oder Regionalliga“. Wo soll die weitere Reise für Sie hingehen?
Andre Schubert: Ich persönlich hatte nie einen bestimmten Karriereplan oder ein Karriereziel. Ich finde es einfach unglaublich spannend, im Fußball zu arbeiten und bin immer glücklich, wenn ich diesen Job ausüben darf. In diesem Zusammenhang kann ich es auch nicht verstehen, wenn Trainer bei einer neuen schwierigen Aufgabe gefragt werden: „Warum tun Sie sich “das” an?“. Wer im Fußball arbeitet, der tut sich nichts an. Wer als Fußballtrainer arbeiten darf, hat einfach einen der schönsten Jobs, die es gibt.