„Als die Götter applaudierten“ – Das Champions League Finale 2011
Spielfakten:
- 27. Spielminute Tor 1:0 Pedro Rechtsschuss Vorbereitung Xavi
- 34. Spielminute Tor 1:1 Rooney Rechtsschuss Vorbereitung Giggs
- 54. Spielminute Tor 2:1 Messi Linksschuss Vorbereitung Iniesta
- 69. Spielminute Tor 3:1 Villa Rechtsschuss
Eine kleine Geste, aber ein großer Moment: Kurz vor der Übergabe des Henkelpotts gibt der selbst erst in der 88. Minute eingewechselte Carlos Puyol seine Kapitänsbinde an Eric Abidal weiter. Der vom Krebs genesende stieß den Pokal damit als erstes in den Londoner Nachthimmel. Diese Haltung geprägt von Demut, Bescheidenheit und Fleiß ergab letztlich auf und neben dem Platz vielleicht nie dagewesenes wunderschönes Gesamtbild.
Geschichte wiederholt sich
Die ersten Minuten im neuen Wembleystadion erinnert mit verblüffender Ähnlichkeit an das Finale zwei Jahre zuvor in Rom: Manchester United attackierte früh, zwang Barcelona zu langen Bällen und wirkte als wollten sie unbedingt ein anderes Ende als 2009 erleben.
Im Spielaufbau Barcelonas orientierte sich Chicharito klar an Pique und sorgte so dafür, dass der Spanier so gut wie gar nicht am Spielaufbau beteiligt war. Rooney orientierte sich an Busquets und nahm dem Barca-Spiel so die klassische erste Anspielstation im Mittelfeld. Zunächst zu weite Passwege auf Iniesta und Xavi ermöglichten in Kombination mit einem fleißigen Mittelfeld den guten Zugriff auf das kongeniale Mittelfeldduo. Im Moment des Ballgewinns konnte Manchester auf den tief positionierten Hernandez und den aus dem Lauf kommenden Rooney bauen und diese mit teilweise gefährlichen langen Bällen in Szene setzen.
Lange Bälle, die auch konsequent gegen die hoch aufgebauten Reihen vom Abstoß weg gespielt wurden und letztlich zu zwei Möglichkeiten der ‚Red Devils‘ führten.
“Da klatschen auch die Götter. Alle lobpreisen Barcelona.” – Ekstrabladet
„Schauen Sie, wie weit Manchester im Kopf zurückgedrängt ist“
Exakt zehn Minuten konnten sich die Mannen um Edwin Van der Sar über dieses Hoch freuen, dann kam Barca. Nach exakt zehn Minuten kam es zur ersten Sequenz ihres berühmten Tiki-Taka.
Mascherano positionierte sich konstant ballfern und aus der Verlagerung höher. Das hatte direkt zwei Auswirkungen. Zum einen mussten Hernandez und Rooney deutlich mehr Aufwand betreiben, um die verlorene Reihe zurückzuerobern und zum anderen verkürzte Mascherano damit seine eigenen Passwege ins Mittelfeld erheblich, letztlich der Schlüssel für das gesamte Spiel. Rooney ließ sich darüber hinaus damit weiter verleiten, deutlich mehr rückwärts zu machen, was im Umkehrschluss den gefährlichen Kontern von United jede Kraft und Wucht nahm, da die kleine Erbse (Spitzname für Chicharito) doch allein auf weiter Flur war. In Kombination mit dem stärker werdenden Druck nach Ballverlust seitens der Mannen aus Spanien ein fast aussichtsloses Unterfangen.
Diese Position erreichte Mascherano nicht nur aus der Verlagerung von Position zu Position, sondern auch, wenn Abidal oder ein zentraler Mittelfeldspieler in ähnlicher Position den Ball hatte. Hernandez orientierte sich dann nach wie vor an Pique und war so nicht in der Lage, den Ball konstant vor sich zu halten.
Die folgenden Minuten brachte dabei eine weitere Veränderung: Messi positionierte sich deutlich häufiger zwischen vier Spielern (Innenverteidiger und zentrale Mittelfeldspieler), war dort direkt anspielbar und vergrößerte damit die Probleme von Michael Carrick und Ryan Giggs im Zentrum zusätzlich. Damit hielt Guardiola sein Versprechen, sein Team mit seinen Maßnahmen immer ins letzte Drittel bringen zu können, in dem sie ihre Qualitäten letztlich ausspielen können.
Wie Barcelona unlösbare Problem hervorruft
Barcelona kreierte damit ein nahezu unlösbares Problem für den Defensivverbund von United. Während Villa und Pedro konstant zumindest einfach die Tiefe besetzten und damit bei den vielen offenen Ballbesitzmomenten für tiefe erreichbare Passwege im Spiel sorgten, spielten die vier zentralen Spieler Messi, Xavi, Iniesta und Busquets nach und nach Katz und Maus mit Carrick und Giggs. Der sehr aktive und unnachgiebige Alves drückte in die Tiefe, sobald sein direkter Gegenspieler Ji Sun Park in der Mitte helfen wollte und bot damit deutlich gefährlichere Passwege in die Tiefe.
Die Folge war die komplette zentrale Dominanz, die ungebrochen bleiben sollte. Messi sorgte für das wohl größte Problem in der Fußballgeschichte: Gehen Vidic oder Ferdinand auf ihn raus oder nicht? Würde ein Spieler das tun, finden Iniesta und Xavi alle erreichbaren Passwege in die Tiefe auf Pedro und Villa oder letztlich Messi selbst. Bleiben sie in der Reihe, bekommt Messi den Ball mit offenem Blick auf die Abwehrreihe. Messi positionierte sich dabei so clever, so nah an Uniteds Mittelfeld, dass die beiden Weltklasse Innenverteidiger niemals die richtige Schlagdistanz finden konnten.
Lösungen dagegen wäre ein deutlich tieferer Verteidigungsblock oder die zusätzliche Stärkung der letzten Reihe mit fünf Spielern. Das wiederum erstickt jede Hoffnung auf einen möglichen Konter schon im Ansatz. Trotzdem erspielte sich so beispielweise Chelsea FC das Finale ein Jahr später und letztlich auch den Titel.
“Bravo, Barça! Messis Magie zerstört United – schon wieder. Neben Messi sieht fast jeder wie ein Tollpatsch aus. Auf eine zärtliche Art richtet er Chaos an. Es war die effektivste Vorstellung einer hängenden Spitze, seit Nándor Hidegkuti bei Ungarns 6:3-Sieg in England einen Hattrick erzielt hat. Es war fast schon beschämend, ein Triumph der Kunst, der Geduld, des Ideenreichtums. Ohne einen Funken unsportlichen Verhaltens.” – The Guardian
Xavi mit dem Außenris und die Hoffnung, die keine war
Längst überfällig war das 1:0 in der 27. Minute. Xavi bekommt den Ball aus einer dieser beschriebenen Situationen. Pedro öffnet einen Passweg nach außen und verlädt Edwin Van der Sar, der einen unglücklichen Tag erwischte. Aus einer zu hohen Position kommt er nicht mehr rechtzeitig zurück, spekuliert anschließend und ist so chancenlos gegen Pedro.
Die nächsten Minuten verfiel Manchester in Schockstarre, während Barcelona Pass um Pass spielte. Selbst das zwischenzeitliche 1:1 in der 33. Minute konnte daran nichts ändern.
Nach einem Einwurf stürzt Busquets auf Rooney heraus und gibt damit wertvollen Raum zwischen den Reihen preis. Geduldig hinten bleiben und andere Spieler ihre Reihe zurückholen lassen wäre ein besserer Rat gewesen. Rooney bewegt den Ball in die Tiefe und schließt nach einem kurzen Pass in die Tiefe selbst ab. Hatten die 87.695 Zuschauer in diesen Minuten auf ein spannendes Spiel gehofft, wurden sie enttäuscht. Die Mannschaft von Pep Guardiola machte unbeeindruckt weiter, kombinierte sich konstant an und in den Strafraum und was noch viel erdrückender war: eroberte auch nach Ballverlusten den Ball sehr hoch im Feld zurück – die pure Dominanz. Viel schlimmer für den englischen Rekordmeister: Der kleine Argentinier kam besser und besser ins Spiel, bewegte den Ball zwischen den Reihen und strahlte Torgefahr aus. Fehlende letzte Präzision verhinderte eine abermalige Führung vor der Pause. Die 41. Minute markierte das erste Foul an der kleinen Nummer 10 und war Ausdruck der Hilflosigkeit.
Nach der Halbzeit nichts Neues
Die Halbzeit unterbrach den Flow nur für die angesetzten 15 Minuten. Die Mannschaft von Sir Alex Ferguson präsentierte sich ohne echte Lösung, wenn es überhaupt eine gegeben hätte. Die bestehende Überzahl im Zentrum spielte Barca weiter in die Karten und sorgte für viel Ballbesitz und viele Szenen am Strafraum.
Messi, Messi, Messi
Ein klar erkennbares Muster der zweiten Halbzeit war, Messi mit Ballkontakten zu versorgen. Mit jedem Kontakt wuchs die Angst eines weiteren Gegentors und öffnete gleichzeitig Passwege und Torgefahr für andere Spieler.
In dieser Sequenz nur eine Minute nach Seitenwechsel wird Messi mehrfach am rechten Flügel gesucht. Ohne den Ball groß zu bewegen zieht er mehrere Spieler auf sich. Letztlich wird der Ball über kurze Passwege (Xavi) auf die andere freie Seite gespielt, wo Pedro fast vollenden kann.
Die überfällige Führung bestellte ‚La Pulga‘ kurze Zeit später höchst persönlich. Ein komplett zurückgedrängtes United kriegt die Unterzahl im Zentrum nach wie vor nicht in den Griff. Messi bewegt den Ball aufs Tor zu und vollendet.
“Messi macht uns froh, dass wir leben. Schöneres Lob kann es für einen Fußballer nicht geben.” – Aftonbladet
Alves kommt ins Laufen
Das United keine eigene Torszene mehr generieren konnte, lag auch am immer offensiver agierenden Dani Alves, der immer wieder erreichbare Passwege in die Tiefe nutzte, die durch den innen-spielenden David Villa entstanden. Aus dem Tempo heraus, in Verbindung mit dem Überraschungsmoment, erspielten sie sich zahlreiche Torraumszenen.
In dieser Szene erkennt Alves bereits früh den sich öffnenden Passweg und startet in die Tiefe. Letztlich wird er mit einem Chipball von Xavi in Szene gesetzt.
Der Schlusspunkt gehörte jedoch wieder dem wohl besten Spieler der Zeit. Messi bekommt den Ball am rechten Flügel. Das Folgende muss man sehen und nicht niederschreiben:
https://youtu.be/dg5XxDBFi0c?t=75
Stories zum Spiel
- Beim 1:1 von Rooney steht Giggs zuvor im Abseits – Grüße an den VAR dieser Zeiten
- Manchester verzeichnete in 90 Minuten keine eigene Ecke
- Messi stellte mit seinem Tor den bis dahin geltenden Torrekord in der Championsleauge ein (12)
- Für Iniesta schloss sich ebenfalls ein Kreis. Wie er später gestand, litt er in den Jahren 2009-2011 an teils schweren Depressionen und begab sich in Behandlung.
- Puyol spielte auf Grund von Knieproblemen nur vier Spiele in der späten Phase der Saison
- Barcelona kam nur sehr schwer ins Turnier, hatte bereits in der Vorrunde Probleme, u.a. gegen Kopenhagen und Rubin Kazan.
- In den Wochen vor dem Finale gab es insgesamt vier El Classicos (Championsleague Halbfinals, Pokal und Liga), die ebenfalls in die Geschichte eingingen, waren sie doch der Höhepunkt der Guardiola – Mourinho Fehde.
- Ferguson wechselte im Vergleich zum Halbfinale auf neun Positionen. Hintergrund: Das Halbfinalrückspiel gegen Schalke 04 war Formsache gewesen
Was danach passierte
- Barcelona lieferte sich weitere epische Duelle gegen Mourinhos Real Madrid in der kommenden Saison
- Die goldene Generation der Spanier um Xavi und Iniesta holte 2012 die Europameisterschaft nach dem WM-Titel 2010 und der EM 2008
- Guardiola coachte Barca noch ein weiteres Jahr bevor er eine Pause einlegte. Für ihn war 2011 der letzte Championsleague-Titel
- Barca triumphierte 2015 wieder in der Championsleauge, diesmal mit einer Angriffsreihe rund um Messi, Neymar und Suarez
- Manchester United wurde 2013 zum letzten Mal englischer Meister. Sir Alex Ferguson beendete in derselben Saison seine Karriere
- Europäisch war das Finale 2011 der letzte Höhepunkt Uniteds bis zum heutigen Tag
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