Champions League Finale 2021 – Die detaillierte Analyse
Was für eine Geschichte: Guardiola steht kurz davor, zum dritten Mal die CL-Trophäe zu gewinnen. Tuchel steht zum zweiten Mal in Folge im Finale und das, nachdem er den FC Chelsea erst vor wenigen Monaten übernommen, stabilisiert und weiterentwickelt hat. Neben den individuellen Geschichten rund um das Finale konnten wir natürlich auch taktisch gespannt auf die Begegnung sein, da sich beide Trainer schon oft gegenüberstanden und zweifelsohne zu den Besten ihres Fachs gehören. Nach dem Spiel gab Tuchel zu Protokoll, dass sie ein wenig „ein Stein im Schuh von Manchester City“ waren. Eine wirklich zutreffende Metapher!
Chelsea agiert dabei im 5-2-3, baut enge Reihen auf und setzt in der vorderen Reihe auf Tempo für weite Konter. City beginnt mit einem 4-3-3, wobei De Bruyne als zentraler Stürmer aufläuft. Ein erstes Indiz dafür, dass auch heute das Zentrum Cities Hoheitsgebiet sein soll. Walker bildet im Spielaufbau zumeist eine Dreierkette mit Stones und Dias. Der linke Verteidiger Zinchenko überlagert ebenfalls das Zentrum und ist in Ballbesitz im Halbraum zu finden. Gegen Dreierketten ist es für Stürmer schwer, entgegenkommende Bewegungen zu zeigen, da die zentralen Verteidiger diese mitgehen können, ohne allzu große Lücken in der Reihe zu reißen. Eine 5er-Kette lässt sich gut verändern. Eine Lösung dagegen kann sein, über zentrale Mittelfeldspieler und die Halbräume zwischen die Reihen zu gelangen.
Chelsea pragmatisch – City offen.
https://youtu.be/RSmAaeKxGRM?t=22
Chelseas Offensivbemühungen sind sehr pragmatisch und führen vielleicht gerade deswegen zum Erfolg: Nach einem offenen Ballgewinn (von denen es übrigens viel zu viele für Chelsea gab, später dazu mehr) spielt Rüdiger den tiefen Ball, den zweiten Ball sammelt der fleißige Havertz ein und legt letztlich gegen schlechte Mannorientierung für Werner auf, der zu dem dem Zeitpunkt schon das 1:0 machen kann.
„Bereits in der Vorbereitung auf das Spiel war erkennbar: Gegen Ballbesitz laufen City-Spieler eher nach vorne, anstatt das Tor zu sichern. Ganz anders Chelsea. Haben sie keine Schlagdistanz, sichern sie das Tor und können auch mal bequem tiefer verteidigen. Das hat sich letztlich auch in diesem Finale widergespiegelt“
https://youtu.be/RSmAaeKxGRM?t=40
Keine sieben Minuten später gibt es eine ähnliche Szene: City will den Ball auf außen spielen. Wieder kommt es zu einem offenen Ballgewinn und dem Konter für Chelsea. Schlüsselrollen kamen hier Havertz und Mount zu, die die perfekten Spieler waren, um von der Außenposition raus aus Druck zu kommen und Werner in der Tiefe anzusteuern. Situationen vor der Abwehrkette, die Gündogan nicht mehr einfangen konnte aber ggf. ein anderer Spielertyp besser hätte lösen können (Stichwort: Rodrigo).
Cities Bemühungen, in Ballbesitz etwas zu reißen, scheinen zunächst geplanter. Die Rechnung wurde jedoch ohne Thomas Tuchel und seine Spieler gemacht, die in ihrem 5-2-3 hervorragend verteidigen.
Defensives Meisterwerk: Chelsea FC
Mount und Havertz verschließen die Halbräume und wenn der Ball doch einmal hindurchgelangt, verändern Rüdiger oder Azpilizueta die Reihe und schieben raus. Hinzu kommt, dass Timo Werner im Spiel gegen den Ball mehr Geschick als im gegnerischen Strafraum zeigt und die tiefe 6 von City aus dem Spiel nimmt. City bleibt oft nur der Weg außen herum. Hier zeigt sich das eigentliche Problem Cities gegen Chelsea. Bekommen die Außenverteidiger Walker oder Zynchenko (wenn er mal außen ist) außen den Ball, stehen sie quasi ohne Optionen da. Havertz, Mount und Werner holen die Reihe zurück, in der Mitte versperren Kante und Jorginho den Weg. Einzige Lösung wäre aus dieser Position, Torgefahr über Flanken zu generieren. Ohne körperliche Stürmer gegen Silva und Co. allerdings keine echte Lösung. Letztlich das Problem, das Guardiola in drei Spielen gegen Tuchels Chelsea nicht lösen konnte.
City löst das Pressing nicht auf
Umgekehrt presst City gewohnt hoch. Probleme offenbaren sich, wenn Diagonalbälle vom Torhüter oder der Dreierkette auf die Außen gespielt werden. Hier sind Zynchenko und Walker dafür zuständig, durchzuschieben und auf diese zu springen.
Gerade nach Ballverlusten zeigten sich diese Probleme, da City trotz fehlender Schlagdistanz auf derselben Höhe Pässe ins Zentrum verteidigen wollte. Beispiel dafür ist die 17. Minute. Kante kommt zu einem Kopfball, weil dieses Mal Walker im Durchschieben auf Chilwell zu weit springt und Mount den Ball in dessen Rücken gelegt bekommt (Spoiler: der gleiche Fehler führt zum entscheidenden Treffer). Es ist erneut Werner, der in ein 1:1 tief geschickt wird, den Ball nochmal auf außen ablegen kann, wodurch die Flanke auf den zweiten Pfosten auf Kante gespielt wird.
Auch auf der linken Seite zeigen sich diese Probleme. Hinzu kommt, dass es City in der Defensive oft verpasst den letzten Schritt zu machen und wirklich in die Schlagdistanz zu gehen. Zu oft gelingt es Chilwell und James (der den Ball übrigens herausragend bewegte und gleichzeitig exzellent verteidigt) noch, den Ball sogar tief zu spielen, wo sich die restlichen Verteidiger jeweils 1 gegen 1 -Situationen gegenübersehen.
Havertz macht‘s
https://youtu.be/RSmAaeKxGRM?t=74
In diesem Zusammenhang nehmen wir auch schon das Tor des Tages vorweg, welches in der 42. Minute fällt: Chelseas Torwart Mendy spielt einen Flugball auf die linke Außenbahn, wo Chilwell diesen direkt auf Mount weiterleiten kann. Walker springt und kommt erneut zu spät. Stones befindet sich weit weg von Mount, City spielt in diesem Moment Mann-gegen-Mann in der letzten Linie. Mount dreht auf, Werner zieht Rúben Dias aus dem Zentrum, Zinchenko hat längst die Innenbahn gegen Havertz verloren, welcher den Ball herausragend von Mount in den Lauf gelegt bekommt. Das Zusammenspiel der beiden Spieler des Jahrgangs 1999 sorgt für das entscheidende Tor des Abends. Dass Ederson niemals rauskommen darf, bleibt eine Randnotiz.
„Kai Havertz krönt Chelsea zum König Europas und zerstört Man Citys Champions League -Träume“ – Sunday Telegraph
Chelsea blockt zur Not auch im 5 Meter Raum
Chelsea kommt besser in die Schlagdistanz. Gegen die guten Ballbeweger bei City agieren sie zwar oft mit Foulspielen, die Angriffe werden hierdurch jedoch gestoppt. Die Schlagdistanzen zu den jeweiligen Gegenspielern sind schlichtweg besser austariert. Hier werden Vorteile der 5er-Kette deutlich, durch welche Gegenspieler einfacher verfolgt werden können und die Breite besser abgedeckt ist.
Und auch wenn es City mal in die Box schafft, brennt bei Chelsea nichts an. Sie agieren konsequent mannorientiert und blocken Einschussmöglichkeiten mit höchstem Einsatz.
In der gesamten ersten Halbzeit kombiniert sich City nicht wie gewohnt kinderleicht ins letzte Drittel. Guardiolas Plan geht bis zu diesem Zeitpunkt nicht auf. Zu oft sind die zentralen Spieler isoliert und sehen sich 1 gegen 1 -Duellen gegenüber. Bernardo Silva findet so gut wie gar nicht statt und de Bruyne hat Schwierigkeiten, am Kombinationsspiel teilzunehmen. Auch die Spielfortsetzungsmöglichkeiten vom Flügel erweisen sich für City als schwer. In der 27. Minute ergibt sich die wohl beste Torchance für die Citizens aus einem Ballgewinn am Flügel, in einem Moment, indem dieser von de Bruyne überlagert wird. Die Hereingabe auf Foden gelingt, dessen Schuss wird jedoch mit einem außergewöhnlichen Tackling von Rüdiger geblockt. Einmal mehr wird die Mentalität von Tuchels Truppe im Spiel gegen den Ball deutlich. Dies ändert sich auch nicht als Thiago Silva in der 39. Minute verletzungsbedingt den Platz verlassen muss.
Leichte Anpassungen für mehr Erfolg?
Zu Beginn der zweiten Halbzeit muss City weiter ins Spiel finden. In der 55. Minute dann auch noch das: de Bruyne prallt mit Rüdiger zusammen und bleibt liegen. Das Finale ist für den Belgier damit zu Ende. Jesus ersetzt ihn. Das Ballbesitzspiel beginnt sich nun etwas zu verändern.
Zunächst haben die Spieler aus Manchester jedoch weiterhin das Problem, dass wenn sie mal zwischen die Reihen kombinieren, von dort die Spielfortsetzungsmöglichkeiten fehlen. Verlagerungen von Halbraum zu Halbraum sind so gut wie nie möglich, gerade Kante läuft alles zu, ist auch im Nacharbeiten brutal und die Schnittstellen sind zu eng, um den Ball Richtung Jesus hinter die Kette zu spielen. So bleibt dann mal die Option des Fernschusses.
https://youtu.be/RSmAaeKxGRM?t=113
Gelingt es, Jesus ins Spiel einzubeziehen und gleich zwei Reihen von Chelsea zu überspielen, ermöglicht dies zwar über einen indirekten Passweg die Kombination, es fehlt in der letzten Linie jedoch ein kurzer Passweg für einen tiefen Lauf hinter die Kette. Cities Staffelung lässt dies am heutigen Tag nicht zu.
Die beste Kombination des Abends gelingt City in der 67. Minute. Das Zentrum ist in dieser Szene weniger überladen, Walker steht breit, Zynchenko ebenfalls weiter außen. Der Pass in den Halbraum gelingt und kann auf die tiefe 6 klatschen gelassen werden: Ein mustergültiges Beispiel für direkte und indirekte Passwege! Mit dem gleichen Muster gelingt es über Jesus Rüdiger auszuspielen, wodurch der an der Kombination zwei Mal beteiligte Foden mit Ball den freien Raum attackiert, nach außen passt und die Hereingabe in letzter Sekunde geklärt wird.
Grundsätzlich spielt Zynchenko es nun breiter und überlagert weniger das Zentrum. Der Flügel ist damit auch hier phasenweise doppelt besetzt. Es gelingt, Chelsea zunehmend hinten hineinzudrängen. Für echte Torgefahr sorgt dies aber auch nicht.
„In einem hochklassigen Finale erzielt Kai Havertz das Tor des Tages und macht den FC Chelsea zum Champions-League-Sieger. Pep Guardiola wählt eine ungewöhnliche Aufstellung – und ist mit City erneut der Geschlagene.“ – SZ
https://youtu.be/RSmAaeKxGRM?t=124
Kontergelegenheiten für Chelsea sind in diese Phase Mangelware, bis in der 72. Minute Kante den Ball erobert und über Havertz Pulisic fast für die Entscheidung sorgt. Dieser verzieht jedoch knapp.
Wie kriegt man den Stein aus dem Schuh?
Es stellt sich nun zunehmend die Frage, wie City das Bollwerk knacken kann. Flanken könnten eine Option sein, die Frage, die sich jedoch direkt stellt: wer soll diese abnehmen und wer könnte damit ein gutes Match-Up gegen Rüdiger, Azpiligueta oder Christensen darstellen? Wohl niemand, auch der später eingewechselte Agüero an diesem Tag nicht. Chelsea schafft es, alle Offensivbemühungen wegzuverteidigen und in den Schlussminuten auch weiterhin jene, die es in den Strafraum schaffen. Chelsea gewinnt somit verdient die Champions-League und Thomas Tuchel krönt damit seine außergewöhnliche Arbeit der letzten Jahr.
Fazit: Um sich häufiger durch das Zentrum durchkombinieren zu können und gleichzeitig auch am Flügel bessere Spielfortsetzungsmöglichkeiten zu haben, wäre der Aufbau über zwei Innenverteidiger und einen nicht ständig das Zentrum überlagernden Zinchenko eine Alternative gewesen. Walker hätte mit seiner Wucht mehr die Breite bespielt und Mahrez sich zwischen Gegnern in zentralen Räumen bewegt, wodurch kürzere Passwege und engere Situationen im Zusammenspiel mit de Bruyne entstanden wären.
Chelsea hat im Spiel gegen den Ball vieles richtig gemacht und wie wir gemeinsam auf Instagram festgestellt haben: einer wird dann schon im Tor landen.
Stimmen nach dem Spiel:
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